Als
der Meister seinen Koffer öffnet, geht ein Raunen
durch den Raum. Beim Anblick der prächtigen Ausrüstung
mit blitzenden Klingen, Zangen und Pinzetten könnte
man an einen Messerwerfer oder Chirurgen für Nilpferde
und Großwildkatzen denken. Jürgen Brarens
Absichten sind die allerfriedlichsten. "Wir kochen
unser Weihnachtsmenü" heißt sein Kurs
im Landhaus Wilhelmy am Tegernsee. Dass hier nicht die
Gans mit Knödeln auf den Festtisch kommt, versteht
sich von selbst. Wer in deren Geheimnisse eingeweiht
werden möchte, geht besser heim zu Mama (vorausgesetzt
sie gehört nicht längst zum Heer der Ketchupnudelmütter).
Doch Weihnachten bedeutet immer Heimweh. Da will man
nicht nur die heimatlose Cross-Over Haute-Cuisine schmecken.
So umfasst Brarens Menü-Komposition auch Zitate
der bürgerlichen Festtags Küche: Serviettenknödel,
Hirschkalbsrücken und Kaiserschmarrn. Nobel abgewandelt
selbstredend.
Als erste Lektion führt der Mann vor, wie man
Zander, Saibling, Hecht & Co mit Flossenschere,
Grätenzange und Messer topf- oder pfannenfertig
macht. Zuschauen kann man auch beim Fernsehkoch. Also
muss ein jeder nach der Demonstration zu Tat schreiten.
Zum Entschuppen nimmt der Profi einen Fischschupper
mit Auffangbehälter, ehe er mit elegantem Messerschwung
filetiert. So einfach sieht das aus, dass beim Nachahmen
der Schwung zu Leichtsinn verführt. Viel zu viel
Filet bleibt an den Gräten hängen. "Nach
3000 Fischen ist es kinderleicht versichert Braren.
So viel Übungsobjekte stehen nicht zur Verfügung.
Aber damit alle ihre Anfängerfehler korrigieren
können, müssen noch viele Fische zerlegt werden.
Weshalb es als Zwischenmahlzeit gleich drei Fischgänge
(mit Wein) gibt.
Bad Wiessee, traditionell Treffpunkt von munteren Rentnern
an Daddelautomaten, luftschnappenden Kurgästen,
Spazierstock schwingenden Opas in Loden, wirbt man um
neue Besucher. Das Romantikhotel Wilhelmy, ein Bilderbuch-Familienbetrieb
(der Hausherr kocht selbst ausgezeichnet), paart blitzsaubere
Bayernpostkartenästhetik, lustigen Countryhouse-Kitsch
und neudeutsche FengShui-Philosophie. Und weil Ruhe
den modernen Menschen leicht langweilt, braucht er Programm,
von der Beauty-Behandlung bis zum Gourmetkochkurs.
Ob es notwendig ist, dass PR-Berater die Gegend nun
mit rosaroten Wortwolken einnebeln, der Garten Märchengarten,
der Wald Zauberwald heißen muss, soll hier nicht
ausdiskutiert werden. Halten wir uns an die Tatsachen.
Wenn man im Wilhelmy morgens auf den Balkon tritt, schaut
man über den Garten hinweg auf Kirchlein und Berggipfel.
Eine schönere Aussicht kann kein Werbeprospekt
malen.
Doch marsch zurück in die Küche. Zu tun gibt
es reichlich. Gemüse würfeln, Berge von Riesengarnelen
entdarmen. Mehr als ein winziger Messerschnitt ist nicht
erlaubt. Einmal angeleitet aber finden selbst Ungeübte
in der Gruppe den fadendünnen Darm ohne herumzupopeln.
Bei Braren darf man, wie einst bei Mama, die Schüsseln
ausschlecken. Es wäre auch eine Sünde, die
Reste der Fischfarce in den Ausguss zu spülen.
Spiegelglatt und scharfrandig bedeckt sie das Filet
bei den Schülern nicht. Macht nichts. Jürgen
Braren verfügt über die für einen Kochlehrer
perfekte Mischung aus guter Laune und Langmut.
Aus der Gastronomie hat er sich zurückgezogen.
Das ist Fließbandarbeit auf Spitzenniveau. "Du
verlierst", meint er, "deine Kreativität
und die Freude am Kochen." Als "Gourmetberater"
hat er
eine Nische gefunden. Auf Wunsch kommt er auch zu Kunden
nach Hause. Ohne seinen persönlichen Messerkoffer
aber reist er nie an. Auch nicht in eine voll ausgestattete
Hotelküche.
Während alle schnippeln, kneten, rühren, verrät
Braren Tricks und Kniffe: Dass Zitronengras seine wahren
duftenden Qualitäten nur entfaltet, wenn man es
in fingerlange Stücke teilt und mit dem Messerrücken
flach klopft, zum Beispiel. Serviettenknödel schlägt
er statt in Tuch erst in Klarsicht, dann in Alufolie
ein. Das ist bei seiner Version des Knödelteigs
wichtig, der reich mit in Rosmarin, Thymian und Schalotten
gebratenen Steinpilzen vermengt wird. Und weil wir in
einer noblen Küche sind, nehmen wir keine Semmeln,
sondern entrindetes Toastbrot, wie auch für Panaden
keine Brötchenbrösel verwendet werden, sondern
"mie de pain", was Toastkrümel sind.
Andere Geschmacksverfeinerungen sind ein wenig aufwendiger.
Da wird eine Flasche Champagner zu einem Zwergenbecherlein
eingekocht. "Um wie viel zarter ist diese Säure
doch als Zitronensaft", schwärmt Jürgen
Braren. Wer wollte da widersprechen?
Bis alle Vorbereitungen beendet sind, ist es Abend.
Es darf serviert und Gang um Gang genossen werden. Nach
jedem Menü-Teil geht es vom Restaurant zurück
in die Küche, um den nächsten anzurichten.
Da gilt es Karotteningwerjus mit frischem Orangensaft
aufzukochen und zu binden, Selleriescheiben anzubraten
und mit Püree als Lasagne auf die Teller zu schichten,
die Portweinglace mit Butter aufzumontieren. Die Scheiben
des Serviettenknödels werden als eigener Gang auf
zirkelrunde Kerbelschaumspiegel gebettet. Als der karamelisierte
Kaiserschmarrn à la Braren auf dem Tisch duftet,
ist es Mitternacht. Glücklich, erschöpft und
sanft trunken winken alle bei der Einladung in die Hotelbar
ab.
Was haben wir nun gelernt? Sehr viel. Zum Beispiel warum
die Weihnachtsgans erfunden wurde. Es ist klar, dass
ein Weihnachtsmenü à la Braren keiner Hausfrau
mit einem Stall von Kindern und Anverwandten einfallen
würde, obwohl es laut Braren nicht wirklich mehr
Arbeit macht als ein klassisches bürgerliches Festessen.
Eine Weihnachtsgans oder ein anderer christlicher Vogel
aber, der Stunden friedlich und nur ab und an begossen
im Ofen schmort, ist trotzdem entschieden praktischer.
Für kinderlose Paare und Freunde aber ist dies
ein wunderbares weihnachtstaugliches Menü. Und
natürlich leicht abzuwandeln. Der himmlische Steinpilzserviettenknödel,
erklärt eine Frau, wird sich daheim den Teller
mit dem Hirschkalb teilen müssen.
TEXT: PETRA HALLMAYER
SERVICE: Wer mindestens fünf kochbegeisterte
Freunde hat, kann mit dem Landhaus Wilhelmy und Jürgen
Braren einen Kochkurstermin verabreden. Einzelpersonen
können sich ab Januar
2003 einem der festen Kurse anschließen. Das Programm
bitte bei Wilhelmy erfragen.
Preis pro Person inklusive Übernachtung mit Frühstück
und Abendmenü: 295 Euro plus Materialkosten: Romantik
Hotel Landhaus Wilhelmy, Freihausstraße 15, 83707
Bad Wiessee, Tel. 08022/98 68-0, Fax 233.
Weihnachtsmenü àla Braren:
Amuse gueule: Zuckerschotensuppe
Riesengarnelen mit Karotten-Orangen-Ingwerjus
Saiblingsfilet souffliert mit Champagnerschaum und Passe-Pierre
Algen
Oder: Steinpilzserviettenknödel mit Kerbelschaum
Hirschkalbsrücken mit Sellerielasagne und Portweinglace
Soufflierter Kaiserschmarrn mit Calvados-Äpfeln.
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